Smiley??? hat geschrieben:
wie ist das finnische Gesundheitssystem? Besser als in Deutschland, schlechter oder vergleichbar?
Oh, das sind viele Fragen, es gibt auch einen elendlangen Thread dazu, ist aber eher subjektiv und sicher schwer durchzublicken, ob "besser" oder "schlechter" als in Deutschland hängt sicher von bisherigen Erfahrungen und Krankheitsgeschichte. Manche Sachen sind besser, manche sind deutlich schlechter. Ich versuche ein Mass an Fakten und Erfahrungen zusammenmischen - denn es hilft einem nicht viel, was auf dem Papier steht.
Smiley??? hat geschrieben:
Skandinavien Typisch gibt es doch eine "Krankenkasse" in der alle einzahlen und die steuerfinanziert ist, oder?
Ja, der Beitrag sofern man in KELA System (
http://www.kela.fi) aufgenommen wird ist das einzig staatliche und davon kann man sich als Privatpatient nicht "befreien". Es wird aber auch nicht jedem Ausländer gewährt. Arbeitenden schon. Einen kleinen Beitrag kann man von Gehaltsabrechnung ersehen, aber ein Teil der Steuer spielt da eine Rolle.
Smiley??? hat geschrieben:
Inwieweit gibt es Zusatz-Krankenversicherungen?
Es gibt private, zusätzliche Krankenversicherung, aber sie sind z.B. für Frauen ab 30 J. sehr teuer und lohnen sich nicht in jedem Fall, zumal bestehende Krankheiten ausgeschlossen werden, viele Krankheiten werden von vorne herein ausgeschlossen, Zahnarzt gehört nie dazu und es gibt auch Selbstbeteiligung. Das muss man individuell durchrechnen. Viele der Versicherer verweigern Ausländern, auch arbeitenden EU-Mitgliedern den Zutritt (zumal war es so vor 6-10 Jahren). Das durfte nicht passieren, ist aber so.
Smiley??? hat geschrieben:
Thema Zahnarzt: Wird der wie in Deutschland über die Krankenkasse abgerechnet, oder muss man den zu 100% selber zahlen sobald man über 18 ist? Mit welchen Kosten ist man da für ne normale Kontrolle mit Zahnsteinentfernen dabei?
Die Lage im öffentlichen System ist je nach Gegend recht schlecht - und die Politiker wissen davon. Einst hab ich das System getestet und auf einen Termin 14 Monate gewartet (Stadt etwa 40.000 Einw). Die Gebühren fallen an, hab sie jetzt nicht in Kopf, aber etwa 20 Euro + Füllungpauschale, Spritze. Hab vor einem Jahr für 4 Zähne und Kontrolle etwa 150 Euro gezahlt, Privat zahle ich für eine Zahnfüllung 90-110 Euro (aus eigener Tasche & erstattung von etwa 20 Euro). Neulich kaufen manche Städte private Leistungen hinzu, damit die ewig langen Schlangen entlastet werden. Das System trägt dann den Unterschied der Kosten oder teilt "Gutscheine" aus (nur in Grossstädten). Meist sind sie aber recht modern ausgestattet. Privat ist es sehr gut, kaum noch ein Arbeitgeber bietet es als Leistung an also man muss die Kosten vorstrecken und bekommt dann nur 15-20% erstattet. Beispiel: Kontrolle 60 Euro, Zahnstein 50-90 Euro, eine Füllung 90 Euro, Wurzelbehandlung 400 Euro, Weissheitszahn ziehen 120-400 Euro (Erfahrungswerte letzte 1-5 Jahre, Hauptstadtgebiet). Davon also bekommt man ca. 15% zurück (wird sofort abgezogen oder muss Antrag einreichen, Bearbeitung etwa 4-12 Wochen).
Smiley??? hat geschrieben:
Werden die Kosten für Impfungen und Hyposensibilisierungen übernommen?
Das weisss ich nicht, aber jeder gute Arbeitgeber bietet ein Grundpaket an und man muss dann nicht mehr in das öffentliche System mit den allgemeinen Sachen (manchmal sogar Spezialisten). Dort sind bestimmte Impfungen und Behandlungen ganz abgedeckt. Für Behandlung beim Allgemeinarzt, jegliche Besuche bei Erkältungen, jährliche FA Kontorllen, Alergien, normalen Krankheiten hab ich nie einen Cent dazubezahlt, geht direkt an den Arbeitgeber. Im Hauptstadtgebiet bietet der Arbeitgeber Leistungen von den bekannten Grosspraxen wie Diacor, Mehiläinen usw. Ich bin sehr zufrieden. Nur bei Spezialisten, Physiotherapie muss man sehr tief in die Tasche greifen oder sich mit dem Arbeitgeber einigen, ob er was mitbezahlt. In meinem ersten Job hatten wir sogar das dabei, dann konnte man zum Lungenarzt, Hautarzt, Augenarzt, Psychologen und hat keine Rechnung gesehen. Physiotherapie gibt es öffentlich nicht mehr, lediglich Anweisungen. Eine Stunde Physio kostet etwa 60-70 Euro und man bekommt kaum was erstattet.
Smiley??? hat geschrieben:
Kontaktlinsen: Gibts die ohne Probleme beim Optiker, oder muss ich da beim Optiker ein Abo machen? Oder werden die Kosten vom Gesundheitssystem übernommen?
Anpassungen machen Optiker oder Augenärzte, oft in den gängigen Läden wie Instrumentarium, Nissen und co. Das bezahlt man selbst, kann für eine kl. Erstattung einreichen. Brillen zahlt man komplett selbst, Kontaktlinsen ebenfalls. Ausnahmsfälle (bestimmte Krankheiten) sind mir in meinem Alter nicht bekannt, kenn aber niemanden der seine Brille nicht selbt bezahlt hat. Fassungen sind meiner Meinung nach besser, Markenfassungen sind erschwinglicher & oft Aktionen, aber nicht immer sagen uns Mitteleuropäern die Mode zu (sehr starke, schwarze Gestelle dominieren). Gläser sind deutlich teurer als in D, aber auch da gibt es oft 2 für 1 (das dem deutschen Zeiss Preis entspricht...), oder Alters-% Nachlass. Ich bin zufrieden. Kontaktlinsen waren lange 2-3 fach teurer, ich kaufe immer im Netz oder in meinem Kontaktlinseninstitut in D, besuche weiterhin kostenlos (!) in D meinen urspünglichen Kontaktlinsenoptiker.Würde hier nicht kaufen, auch wenn der Preisunterschied angeblich nicht mehr so hoch ist, habe aber nicht näher verfolgt.
Smiley??? hat geschrieben:
Gibts ne Praxisgebühr? Wie hoch ist die Selbstbeteiligung für Medikamente im Jahr?
Wie gesagt, im öffentlichen System ist die Besuchspauschale immer dabei (nicht quartal, sondern immer), bei Arbeitgebergrosspraxismitgliedschaft zahlt man nix. Medikamente werden mit etwa 40% des tatsächlichen Preises bezuschusst (genauen Satz muss ich nachschlagen), entspricht aber immer seltener den Tatschen, zumal man neulich auch nach Empfehlung zu den günstigeren Varianten greifen sollte. Ich zahle für ein Augen-Nasentropfenset Heuschnupfenmedikation etwa 30 euro aus eigener Tasche, neulich für eine kl. Salbe und Tropfen bei Augenentzündung 40 Euro und überraschend bei Jahresbedarf Schilddrüsenmedikamenten nur 2 Euro pro Jahr

Das ist unterschiedlich. Die priv. Versicherung übernimmt das mehr oder weniger, aber man hat eine Einschränkung durch den max. Zuschussbetrag (wenn der aufgebraucht ist, ist man weg) oder mit 65 J. ist man sowieso raus. In Finnland kann man keine priv. Krankenversicherung über 65 J. erhalten.
Smiley??? hat geschrieben:
Gibt es einen Hausarzt denn ich mir beim Einwohnermeldeamt raussuchen kann wenn ich mich anmelde, oder habe ich freie Auswahl?
Beim öffentlichen ist es auf jeden Fall Kotilääkäri, also ein zugewiesener Arzt, aber immer mehr Stimmen wehren sich dagegen. Es soll bald gekippt werden. Mal sehen. Bei Arbeitgeberleistung ist es auch ein Firmenarzt, aber man kann in der Regel auch alle anderen Allgemeinärzte dieser Grosspraxis aufsuchen. Bei "kleinen" Sachen sind Finnen gewöhnt, sowohl öffentlich als auch in Privatsystem zu einer hoitaja (Krankenschwester) zu gehen. Im öffentlichen System muss man sogar, beim Privaten macht man es, wenn man nur ein nicht-kritisches Rezept braucht, eine Impfung oder mal ein Schnupfen nervt. Ich tue es nicht, gehe immer sofort zum (Firmen-)arzt.
Smiley??? hat geschrieben:
Wie sind die Wartezeiten für Krankenhäuser? Gibts da ggf. schnell einen Termin oder sind Wartezeiten von einem 1/2 Jahr normal?
In der Regel sehr lang oder man bekommt gar eine Absage, je nach Krankheit, je nach Gebiet (ganz gut, wenn eine Uniklinik in der Nähe ist). Ganz schlimm wenn's um Gelenke geht, mein Mann war vor einigen Jahren Anfang 40 "zu alt" um es nochmal zu richten, hätte er darauf bestanden, seinen Arm wieder bewegen zu können (!), wäre die Wartezeit 5 Jahre. Tagessätze usw. gibt es mW. auch. Er ging dann privat und die Rechnung währe horrend (6.000 euro für eine eintägige Ambulante Behandlung), hätte es die Freizeitversicherung nicht bezahlt. Die ist noch nützlich privat, muss ich erwähnen. Es gilt für jegliche Reise-, Freizeit- Arbeitswegverletzungen. Auch die können die Übernahme ablehnen, wie es ihnen passt (war in unserem Fall so), aber es ist eine zusätzliche Sicherheit. Meistens bieten es Arbeitgeber, Berufsunionen, oder Kreditkarten zusätzlich an, teils kostenlos (bzw. ohne Mehrkosten).
Noch ziemlich kritisch in meinen Augen: Ambulanzschnelligkeit. Man kann Glück haben und bekommt schnell Hilfe wenn es darauf ankommt, oder man ist auf lange Wartezeiten angewiesen, besonders weil neulich viele Zentren abgeschafft wurden und die Entfernungen sind sehr gross.
Mehr fällt mir nicht ein, vieles hängt von persönlichen Faktoren ab, wird man damit zufriedener oder nicht. Mein Fazit: mit Arbeitgeberleistung, recht guter Gesundheit und guten Zähnen lebt man hier unbesorgt.