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Muss nicht mit Finnland zu tun haben (Veranstaltungen, Treffen, Glückwünsche, Freude, Wut, Trauer, Liebeskummer, Wetter...)

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Klaus
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#61 Re: Sprachen

Beitrag von Klaus »

Risto schrieb am 12.07.2006 18:13

Das mit Schwedisch ist wirklich sehr praktisch und ein Segen für uns Finnen, dass wir in einem zweisprachigen Land wohnen, denn ohne Schwedisch wäre es etwas fragwürdig, ob wir mal zu den Nordischen Ländern gehören könnten.
In der Tat - so sollten es eigentlich alle Finnen sehen, dann gäbe es viele Probleme weniger. Als Finnland letztes Jahr die Pflichtprüfung für Schwedisch abgeschafft hat, hat der Nordische Rat die Warnung an Finnland ausgesprochen, dass sie ohne Schwedisch als gleichberechtigte Amtssprache nicht Mitglied im Nordischen Rat sein können. Åland zählt nicht dazu, da das autonome Inselreich selbstständiges Mitglied im nordischen Rat ist.
Edit: Estland hatte noch vor dem zweiten Weltkrieg eine schwedische Minderheit, aber die Estlandschweden sind vor dem Krieg nach Schweden ausgewandert, und heute ist die schwedische Sprache aus Estland praktisch gesehen ausgestorben.
Hier gibt es noch Hoffnungen, dass das Estlandschwedische nicht ganz ausstirbt. Seitdem Estland 1991 selbstständig geworden ist, knüpft das kleine Land da an, wo es mit Annexion 1940 durch die Sowjetunion aufhören musste, und zwar mit der Förderung von Minderheiten und deren Sprachen. Der noch kleine Teil der Estlandschwedischen Bevölkerung lebt heute hauptsächlich auf den Inseln Ösel (Saaremaa) und Dagö (Hiumaa). Hier wird, auch noch im kleinen Kreis Estlandschwedisch gesprochen. Die estnische Regierung hat seit der Unabhängigkeit 1991 die Rechte der Minderheiten wieder gestärkt, und fördert seitdem auch wieder die Minderheitensprachen. In wieweit das das Aussterben des Estlandschwedischen verhindert, bleibt abzuwarten. Denn viele Sprecher gibt es auf den beiden Inseln nicht mehr. Vor allem auf Dagö und Ösel ist die Landschaft noch sehr Schwedisch geprägt und hier werden schwerpunktmäßig auch die Estlandschwedischkurse an Volkshochschulen angeboten. Durch diese Kurse, die an Volkshochschulen im ganzen Land angeboten werden, versucht die estländische Regierung, die alten Minderheitensprachen Schwedisch, Finnisch und Deutsch in Estland zu erhalten. Bis 1940 war Schwedisch neben Estnisch sogar Amtssprache in Estland. Danach herrschten die Sowjets und machten praktisch alles kaputt, was Estland sich an Kulturreichtum aufgebaut hatte. Seit 1991 haben die verbliebenen der Minderheiten in Estland eine neue Chance in Eesti.
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saksade
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#62 Re: Sprachen

Beitrag von saksade »

Ich hatte am Wochenende Besuch aus Frankreich, meine Nichte mit Mann und zwei Töchtern. Sie sind Finnen und leben seit zwei Jahren in Frankreich. Ich wunderte mich über die enorme Sprachbegabung der Kinder. Die Große ist 5 Jahre alt und die jüngere knapp drei. Beide sprechen sehr gut Schwedisch (mit Mutter) und Finnisch (mit Vater), die Große auch schon sehr gut Französisch, die kleine spricht noch nicht Französisch, aber sie versteht vieles. Die Kinder waren im Juni allein eine Woche bei Großeltern in England und gebrauchen seit dem einige Redewendungen auf Englisch und können auf Englisch zählen. Die Großeltern sind Finnen, die zur Zeit in England leben. Bei mir fragte die Große immer wieder was heißt dieses und jenes auf Deutsch oder was hat er oder sie gesagt. Ich glaube für die beiden wird es in Zukunft leicht sein weitere Fremdsprachen zu lernen. Sie werden zwar in einem Jahr zurück nach Finnland kehren. Ich hoffe nur, dass sie in Finnland eine französische Schule für die Kinder finden.
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#63 Re: Sprachen

Beitrag von sunny1011 »

Klaus schrieb am 12.07.2006 20:39
Risto schrieb am 12.07.2006 18:13
Das mit Schwedisch ist wirklich sehr praktisch und ein Segen für uns Finnen, dass wir in einem zweisprachigen Land wohnen, denn ohne Schwedisch wäre es etwas fragwürdig, ob wir mal zu den Nordischen Ländern gehören könnten.
In der Tat - so sollten es eigentlich alle Finnen sehen, dann gäbe es viele Probleme weniger. Als Finnland letztes Jahr die Pflichtprüfung für Schwedisch abgeschafft hat, hat der Nordische Rat die Warnung an Finnland ausgesprochen, dass sie ohne Schwedisch als gleichberechtigte Amtssprache nicht Mitglied im Nordischen Rat sein können. Åland zählt nicht dazu, da das autonome Inselreich selbstständiges Mitglied im nordischen Rat ist.
Dazu erstens bewundere ich Ristos Aufgeschlossenheit zu der Schwedischen Sprache als Finne. Ich bin da emotional nicht so gebunden, aber es irritiert einen schon, wenn es so über alles Schwedische hergezogen wird. Natürlich lässt sich die Geschichte nicht wegstreichen, aber solche Trotzreaktionen wie bei Fussball/Sport oder politischen Dingen sind irgendwie nicht angebracht. Ebenso die o.g. Situation als auch das leidige Thema der Übersetzungen ins Deutsche im EU-Vorsitzjahr haben für mich persönlich einen bitteren Nachgeschmack, aus meiner "unparteiischen" Sicht.
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
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#64 Re: Sprachen

Beitrag von Risto »

Sunny schrieb:
Dazu erstens bewundere ich Ristos Aufgeschlossenheit zu der Schwedischen Sprache als Finne. Ich bin da emotional nicht so gebunden, aber es irritiert einen schon, wenn es so über alles Schwedische hergezogen wird. Natürlich lässt sich die Geschichte nicht wegstreichen, aber solche Trotzreaktionen wie bei Fussball/Sport oder politischen Dingen sind irgendwie nicht angebracht. Ebenso die o.g. Situation als auch das leidige Thema der Übersetzungen ins Deutsche im EU-Vorsitzjahr haben für mich persönlich einen bitteren Nachgeschmack, aus meiner "unparteiischen" Sicht.


Ab und zu schämt man sich wirklich, Finne zu sein, wenn man allerleie Trotzreaktionen höre. Das bisher vielleicht dümmste Motiv, warum man kein Schwedisch lernen sollte, das ich gehört habe, ist das Schwedisch eine ebenso kleine und winzige Sprache wie Finnisch sei.

Wenn die Wichtigkeit einer Sprache an der Anzahl deren Muttersprachler liegen würde, sollten wir doch Mandarin anstatt Englisch lernen. Was so viele Finnen nicht zu kapieren scheinen, ist, dass die Wichtigkeit einer Sprache weder an ihrer Ausbreitung noch an ihrer Muttersprachleranzahl liegt, sondern an ihrer politischen, gesellschaftlichen, gesetzlichen und de facto Position in dem eigenen Land und in der Aussenpolitik des eigenen Landes.

Englisch lernt man, weil ihr weltweite de facto Position als Lingua franca unumstritten ist. Dafür lernt man in Finnland eher wenig Russisch, weil die Position der russischen Sprache in Finnland weder aus politischen, gesellschaftlichen, gesetzlichen noch de facto Gründen besonders wichtig ist. Dass es über 140 Millionen russische Muttersprachler gibt, ändert die Stellung jener Sprache in Finnland nicht, weil hauptsächlich eben nur Russen Russich beherrschen und es damit keine Lingua franca ist. Dafür ist Skandinavisch im wahresten Sinne des Wortes eine Lingua franca, und zwar in den Nordischen Ländern. Damit sind die wichtigsten Sprachen in Finnland ohne wenn und ob Finnisch, Schwedisch und Englisch.

Was die gesetzliche Position der schwedischen Sprache in Finnland betrifft, werde ich hier nie zu einem Kompromiss geneigt sein: es soll eine bedingungslos gleichberechtigte Nationalsprache bleiben, und es muss auch in Zukunft Pflicht sein, Schwedisch in allen finnischen Schulen zu lernen. Wenn eine der drei wichtigsten Sprachen in Finnland ein freiwilliges Schulfach werden sollte, könnten wir doch gleichzeitig die ganze Lehrpflicht für freiwillig erklären.

Man müsste sich nun wirklich fragen, was der Zweck der Lehrpflicht ist: eine gute Allgemeinbildung zu bieten, oder die morbide Minderwertigkeitskomplexe vieler Finnen durch die Abschaffung des Pflichtschwedisches zu heilen?
Zuletzt geändert von Risto am 13. Jul 2006 00:29, insgesamt 1-mal geändert.
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#65 Re: Sprachen

Beitrag von Puolukka »

Risto schrieb am 13.07.2006 01:10
Man müsste sich nun wirklich fragen, was der Zweck der Lehrpflicht ist: eine gute Allgemeinbildung zu bieten, oder die morbide Minderwertigkeitskomplexe vieler Finnen durch die Abschaffung des Pflichtschwedisches zu heilen?
In der DDR war russisch auch ein Pflichtfach. Und das Ergebnis - viele haben es gehasst und sofort wieder vergessen, als sie aus der Schule raus waren.

Heute kann man wählen, was man lernen möchte - wer also russisch wählt, der will es auch lernen. Dadurch, dass der Zwang und der Krampf nicht mehr vorhanden ist, ist auch die Haltung zur russischen Sprache lockerer geworden.

Ich persönlich finde es so viel besser. Die Finnen müssten eigentlich selbst erkennen, dass Schwedisch für sie nicht ganz unwichtig ist - eben durch die Kooperation mit den nordischen Ländern, dadurch dass die Schweden ihre Nachbarn sind, dadurch dass sie eine schwedische Minderheit haben. Meiner Meinung nach gäbe es nach wie vor genug Leute, die Schwedisch lernen würden, auch wenn es nicht Pflicht wäre.

Aber dadurch, dass so sehr darauf gepocht wird, dass Schwedisch unbedingt Pflicht sein MUSS, wird die Abwehrhaltung doch erst recht verstärkt. Ich finde das keine gute Herangehensweise. Das Pflicht-Schwedisch wirkt wie ein Relikt aus Zeiten schwedischer Herrschaft über Finnland, und ist somit in einem Land mit einem Nationalstolz wie dem finnischen ein Dorn im Auge. Würde man jedoch diese Pflicht lockern und das ganze auf freundschaftlicher und freiwilliger Basis angehen, wären die Finnen insgesamt vielleicht kooperativer in ihrer Gesamthaltung den Schweden gegenüber.

Mit Zwang erreicht man schliesslich oft nur das Gegenteil von dem, was man erreichen will.
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sunny1011
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#66 Re: Sprachen

Beitrag von sunny1011 »

Puolukka schrieb am 13.07.2006 08:20
Risto schrieb am 13.07.2006 01:10
Man müsste sich nun wirklich fragen, was der Zweck der Lehrpflicht ist: eine gute Allgemeinbildung zu bieten, oder die morbide Minderwertigkeitskomplexe vieler Finnen durch die Abschaffung des Pflichtschwedisches zu heilen?
In der DDR war russisch auch ein Pflichtfach. Und das Ergebnis - viele haben es gehasst und sofort wieder vergessen, als sie aus der Schule raus waren.

(...)

Aber dadurch, dass so sehr darauf gepocht wird, dass Schwedisch unbedingt Pflicht sein MUSS, wird die Abwehrhaltung doch erst recht verstärkt. Ich finde das keine gute Herangehensweise. Das Pflicht-Schwedisch wirkt wie ein Relikt aus Zeiten schwedischer Herrschaft über Finnland, und ist somit in einem Land mit einem Nationalstolz wie dem finnischen ein Dorn im Auge. Würde man jedoch diese Pflicht lockern und das ganze auf freundschaftlicher und freiwilliger Basis angehen, wären die Finnen insgesamt vielleicht kooperativer in ihrer Gesamthaltung den Schweden gegenüber.

Mit Zwang erreicht man schliesslich oft nur das Gegenteil von dem, was man erreichen will.
Hm, nicht ganz unwahr, aber direkt vergleichen kann man das auch nicht gänzlich. In Polen gab es natürlich auch Zwang, Russisch zu lernen, und die Gegenwehr ist mir all zu gut bekannt :D . Für die ältere Generation war Polnisch sogar Zwang und kam von einem Tag auf den anderen parallel mit dem Verbot Deutsch zu lernen, gar zu sprechen (samt Geldstrafen!). Ich bin mir da nicht sicher, aber das heutige Schwedisch ist eher die Sprache einer anerkannten nationalen Minderheit als die des früheren Herrschers. Somit muss man sicherstellen, dass sich beide Gruppen verständigen können. Ob es ausreichen würde wenn schwedischsprachige ihre Sprache weiter lernen würden, sowie Finnisch und Finnisch bliebe die gemeinsame Sprache? Ein sehr komplexes Thema.
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
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#67 Re: Sprachen

Beitrag von Risto »

Puolukka schrieb:
In der DDR war russisch auch ein Pflichtfach. Und das Ergebnis - viele haben es gehasst und sofort wieder vergessen, als sie aus der Schule raus waren.

Heute kann man wählen, was man lernen möchte - wer also russisch wählt, der will es auch lernen. Dadurch, dass der Zwang und der Krampf nicht mehr vorhanden ist, ist auch die Haltung zur russischen Sprache lockerer geworden.

Ich persönlich finde es so viel besser. Die Finnen müssten eigentlich selbst erkennen, dass Schwedisch für sie nicht ganz unwichtig ist - eben durch die Kooperation mit den nordischen Ländern, dadurch dass die Schweden ihre Nachbarn sind, dadurch dass sie eine schwedische Minderheit haben. Meiner Meinung nach gäbe es nach wie vor genug Leute, die Schwedisch lernen würden, auch wenn es nicht Pflicht wäre.

Aber dadurch, dass so sehr darauf gepocht wird, dass Schwedisch unbedingt Pflicht sein MUSS, wird die Abwehrhaltung doch erst recht verstärkt. Ich finde das keine gute Herangehensweise. Das Pflicht-Schwedisch wirkt wie ein Relikt aus Zeiten schwedischer Herrschaft über Finnland, und ist somit in einem Land mit einem Nationalstolz wie dem finnischen ein Dorn im Auge. Würde man jedoch diese Pflicht lockern und das ganze auf freundschaftlicher und freiwilliger Basis angehen, wären die Finnen insgesamt vielleicht kooperativer in ihrer Gesamthaltung den Schweden gegenüber.

Mit Zwang erreicht man schliesslich oft nur das Gegenteil von dem, was man erreichen will.


Was du über die oft negative Wirkung von einer gesetzlich geregelten Pflicht sagst, stimmt schon. Ich kann dir da eigentlich nur zustimmen, aber die schwedische Sprache in Finnland würde ich dennoch nie mit der russischen Sprache in den früheren Ostblocksländern vergleichen.

Der Unterschied ist, dass die Ostblocksländern von Russland besetzt und danach tyrannisiert wurden. In Bezug auf Finnland und die frühere "schwedische Herrschaft" entsprechen ähnliche Beschreibungen keine Wahrheit. Finnland war vorher einst ein natürlicher Teil des Schwedischen Königreichs, und zwar während über 600 Jahren. Keine gewaltige Besatzung fand niemals statt und Finnland wurde nun wirklich auch nie weder ausgebeutet noch tyrannisiert.

Gleichberechtigt war die finnische Sprache damals zwar nicht. Man konnte ja z.B. nur auf Schwedisch die Schule besuchen und an den Universitäten nur auf Schwedisch studieren. Vergessen sollte man hier aber nicht, dass wir Schulen und Universitäten eben dank der "schwedischen Herrschaft" bekamen. Ohne die schwedische Bildung, die uns damals angeboten wurde, wären wir das geblieben, was wir schon immer gewesen waren: ein ungebildetes, unbedeutendes und armes Volk.

Der Ausgangspunkt in z.B. DDR und damaligen finnischen Teil des Schweden-Finnlands können also wirklich gar nicht verglichen werden. DDR war schon jahrhundertelang eine kulturelle Wiege gewesen, Finnland dagegen nicht mal ein Nationalstaat!

Aber dass das Pflichtschwedisch im Praxis eher eine umgekehrte Wirkung, als gemeint ist, hat, ist wahr, und es liegt vor allem daran, dass hier in Finnland die Geschichte in Bezug auf Schweden-Finnland etwas zweckbetont und auch ganz bewusst verdreht wird. Als Beispiel, dass es nun wirklich ein riesiger Unterschied zwischen DDR beziehungsweise die Sowjetunion und Finnland beziehungsweise Schweden sogar in den Einstellungen der Finnen gibt, kann angeführt werden, dass - trotz alle Trotzreaktionen - die meisten Finnen Schweden als ihr beliebtestes und engestes Nachbarland empfinden. Wie viele ehemalige Össis können das gleiche über das heutige Russland sagen?
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#68 Re: Sprachen

Beitrag von Puolukka »

Risto schrieb am 13.07.2006 12:32
Der Unterschied ist, dass die Ostblocksländern von Russland besetzt und danach tyrannisiert wurden.
Tyrannisiert?
Zugegeben, ich bin zu jung um richtig mitzureden, aber ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, dass sie DDR-Bürger sich von Russland tyrannisiert fühlten.
Ohne die schwedische Bildung, die uns damals angeboten wurde, wären wir das geblieben, was wir schon immer gewesen waren: ein ungebildetes, unbedeutendes und armes Volk.
Nunja, hätte, wenn und aber bringt uns nicht weiter. Ich kann behaupten, die Finnen hätten sich auch von allein etabliert - wer kann mir das Gegenteil beweisen?
Aber wenn ich zurückdenke an die Ergebnisse der Pisa-Studie, bei der Finnlands Bildung so gut abgeschnitten hat - wo waren da die Schweden, denen die Finnen angeblich alles verdanken...?
http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien#2003
Der Ausgangspunkt in z.B. DDR und damaligen finnischen Teil des Schweden-Finnlands können also wirklich gar nicht verglichen werden. DDR war schon jahrhundertelang eine kulturelle Wiege gewesen, Finnland dagegen nicht mal ein Nationalstaat!
Genau - dank der Schweden und Russen. Finnland ist seit noch nicht einmal 100 Jahren unabhängig - so schnell verheilen Wunden nicht...
Aber dass das Pflichtschwedisch im Praxis eher eine umgekehrte Wirkung, als gemeint ist, hat, ist wahr, und es liegt vor allem daran, dass hier in Finnland die Geschichte in Bezug auf Schweden-Finnland etwas zweckbetont und auch ganz bewusst verdreht wird.
Bewusst verfälschte Geschichte? Das ist eine ziemliche Unterstellung, finde ich...
Geschichte ist immer subjektiv, das ist wahr. Aber eine bewusste Verfälschung/Verdrehung von Tatsachen kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen.
Als Beispiel, dass es nun wirklich ein riesiger Unterschied zwischen DDR beziehungsweise die Sowjetunion und Finnland beziehungsweise Schweden sogar in den Einstellungen der Finnen gibt, kann angeführt werden, dass - trotz alle Trotzreaktionen - die meisten Finnen Schweden als ihr beliebtestes und engestes Nachbarland empfinden. Wie viele ehemalige Össis können das gleiche über das heutige Russland sagen?
Ich nehme an, du meinst Ossis (denn die Österreicher hatten ja mit der DDR nicht viel zu tun) - und dann wäre die Antwort: nur sehr ungebildete :D
Denn dass Russland ein Nachbarland Deutschlands wäre, wäre mir neu ;)
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#69 Re: Sprachen

Beitrag von Risto »

Puolukka schrieb:
Tyrannisiert?
Zugegeben, ich bin zu jung um richtig mitzureden, aber ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, dass sie DDR-Bürger sich von Russland tyrannisiert fühlten.


Ich habe Stasi gemeint, und Stasi war ja im Grunde eine sowjetische Organisation.
Bewusst verfälschte Geschichte? Das ist eine ziemliche Unterstellung, finde ich...
Geschichte ist immer subjektiv, das ist wahr. Aber eine bewusste Verfälschung/Verdrehung von Tatsachen kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen.


Hast du das mit "Suomalaisuuden Liitto" mitbekommen? Wenn ihre Parolen nicht bewusst verdrehte Geschichte ausmachen, waren wohl auch Hitlers Theorien über den Juden richtig.
Ich nehme an, du meinst Ossis (denn die Österreicher hatten ja mit der DDR nicht viel zu tun) - und dann wäre die Antwort: nur sehr ungebildete
Denn dass Russland ein Nachbarland Deutschlands wäre, wäre mir neu


Ja, ich habe Ossis gemeint. Und das heutige Russland halte ich natürlich für kein Nachbarland Deutschlands. Ich habe grundsätzlich über keine erdkündliche Angaben geredet, sondern über die Gefühle eines Volkes einem anderen Volk gegenüber. Ich habe mich aber vage ausgedrückt und dir damit wieder eine Gelegenheit angeboten, meine Worte buchstäblich zu interpretieren.
Zuletzt geändert von Risto am 13. Jul 2006 13:45, insgesamt 1-mal geändert.
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#70 Re: Sprachen

Beitrag von Puolukka »

Stasi = "Staatssicherheit" = sowjetische Organisation? ?(
Ich weiss ja nicht...

Das mit dem Suomalaisuuden Liitto habe ich nicht mitbekommen und kann mir somit auch kein Urteil darüber bilden. Auch kenne ich mich in finnischer Geschichte auch nicht gut genug aus, um das Thema weiter vertiefen zu können. Und, ohne dir jetzt irgendetwas vorwerfen zu wollen - ich habe den Eindruck, dass du von DDR- und Deutschlandgeschichte allgemein auch nicht sehr viel mehr weisst als ich von finnischer Geschichte. Deswegen würde ich vorschlagen, das Thema ruhen zu lassen - es würde ohnehin zu keinem Ergebnis führen, da man gerade über Geschichte viel streiten, auslegen und interpretieren kann.

Okay, mein letzte Satz wäre vielleicht nicht nötig gewesen - ich hatte lediglich versucht, diese Diskussion auf einer ansatzweise mit ein wenig Humor gespickten Ebene zu belassen, damit es nicht ganz todernst wird. Leider hast du das persönlich genommen und missverstanden - entschuldigung dafür, so war das nicht gedacht. Am besten werde ich mich gar nicht mehr zu diesem Thema äussern (sonst bin am Ende ich wieder Schuld, wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt - das kennen wir ja).

Natürlich empfinden Finnen die Schweden als "beliebtestes und engstes" Nachbarland - so viele haben sie ja nicht, und alte Bindungen reissen nicht so schnell. Aber denkst du nicht auch, dass die Einstellung der Finnen gegenüber Schweden besser würde, wenn die Beziehung der beiden Nachbarländer nicht auf (einseitigem) Zwang, sondern auf Freiwilligkeit und Wille zur Freundschaft basieren würde?
Zuletzt geändert von Puolukka am 13. Jul 2006 13:50, insgesamt 1-mal geändert.
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#71 Re: Sprachen

Beitrag von Risto »

Puolukka schrieb:
Stasi = "Staatssicherheit" = sowjetische Organisation?
Ich weiss ja nicht...
Aus Wikipedia zitiert:

"Das Ministerium für Staatssicherheit (Abkürzung: „MfS“, umgangssprachlich „Stasi“) war der Inlands- und Auslandsgeheimdienst der DDR und zugleich Ermittlungsbehörde (Untersuchungsorgan) für „politische Straftaten“. Eine außerhalb der DDR gebräuchliche Bezeichnung für das Ministerium war auch Staatssicherheitsdienst (SSD). Das MfS war vor allem ein Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument der SED gegen systemkritische Bürger der DDR. Nach Maßgabe der SED war das MfS im politischen Sprachgebrauch „Schild und Schwert der Partei“. Das MfS wurde am 8. Februar 1950 gegründet und war für massive Überwachung, Terror und Folter gegen die Zivilbevölkerung in der DDR verantwortlich."

Was nennst du Terrorismus und Unterdrückung und Tyrannisierung, wenn nicht die Tätigkeit der Stasi??? ?(

DDR war ja Teil der Sowjetunion und Stasi stand in enger Zusammenarbeit mit KGB (Комитет государственной безопасности / Komitee für Staatssicherheit). Jedermann weiss doch, dass Stasi durch und durch eine sowjetische Terrorismusorganisation war.

Was "Suomalaisuuden Liitto" betrifft, hat ihre ehemalige Vorsitzender Pentti Huttunen einst ganz öffentlich versucht, finnischsprachige Finnen anzuspornen, alle Finnlandschweden so zu töten, wie der Bauer "Lalli" einst den bösen Bischof Henrik von Schweden auf dem Eis des Sees Köyliönjärvi im Jahre 1156 ermordete. Wie ist dies nun dann verdrehte Geschichte, fragst du dich vielleicht? Na, sonst ist alles ja in Ordnung, aber Bischof Henrik war kein Schwede, sondern ein Engländer. Und jedoch empfinden Finnen nicht selten Bischof Henrik als das Urbild des tyrannisierenden Schweden und Lalli als das Urbild des unschuldigen und tapferen Finnen, der sich gegen die angenommene schwedische Unterdrückung verteidigt.

Ich würde das zweckbetont und bewusst verdrehte Geschichte nennen.
Zuletzt geändert von Risto am 13. Jul 2006 14:42, insgesamt 1-mal geändert.
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#72 Re: Sprachen

Beitrag von Naali »

Ich finde, man sollte es auch etwas allgemeiner sehen...Die "Suomalaisuuden Liitto" ist für mich ein seeeeehr sagen wir mal spezieller "Verein" und mit der Allgemeinheit hat das wenig zu tun. Im Allgemeinen hat man gar nichts gegen das Schwedische oder Schwedischsprachige. Manchmal ist es eine Art Hassliebe wie zum Beispiel bei den Deutschen und Österreichern..aber eigentlich haben sich alle lieb :D
Zuletzt geändert von Naali am 13. Jul 2006 14:58, insgesamt 1-mal geändert.
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#73 Re: Sprachen

Beitrag von Risto »

Naali:
Ich finde, man sollte es auch etwas allgemeiner sehen...Die "Suomalaisuuden Liitto" ist für mich ein sehr spezieller "Verein" und mit der Allgemeinheit hat das wenig zu tun. Im Allgemeinen hat man gar nichts gegen das Schwedische oder Schwedischsprachige. Manchmal ist es eine Art Hassliebe wie zum Beispiel bei den Deutschen und Österreichern..aber eigentlich haben sich alle lieb


Das meine ich eben auch! :) Habe ja schliesslich auch vorher geschrieben, dass die meisten Finnen - trotz allerleie Trotzreaktionen - Schweden als ihr beliebtestes und engestes Nachbarland halten. Finnland und Schweden mit Deutschland und Österreich zu vergleichen ist ganz plausibel, finde ich. Ausserdem ist die finnlandschwedische Aussprache ja ein wenig wie Österreichisch und Reichsschwedisch ein wenig wie Hochdeutsch, oder? ;) Habe ich zumindest immer so gesehen, mit dieser Roll-R. :D
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#74 Re: Sprachen

Beitrag von Kathi »

Ich hatte bei meinem Besuch im Juni irgendwie das Gefühl, dass Finnland und Schweden ähnlich wie Deutschland und Holland oder Österreich sind. Man redet manchmal dummes Zeug über den Nachbarn (z.B. die ganzen Wohnwagen-Witze über die Holländer), aber man meint es nicht wirklich böse oder ernst.
Es kam aber auch zum Ausdruck, dass viele Schwedisch in der Schule sehr als Zwang empfinden, öfter fiel auch mal der Ausdruck "pakko-ruotsi" und viele mochten die schwedische Sprache nicht wirklich (also, das bezieht sich jetzt auf die finnischen Studenten, die mit mir bei der Exkursion waren). Vielleicht wäre ein Schwedisch-Lernen auf freiwilliger Basis wirklich angenehmer für die Leute.
Zuletzt geändert von Kathi am 13. Jul 2006 15:08, insgesamt 1-mal geändert.
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#75 Re: Sprachen

Beitrag von Risto »

Kathi schrieb:
Vielleicht wäre ein Schwedisch-Lernen auf freiwilliger Basis wirklich angenehmer für die Leute.


Freiwilligkeit wäre in Bezug auf alles immer angenehmer, aber ist auf lange Sicht kein haltbares Argument. Es gibt sicherlich kein einziges Fach, das keiner für freiwillig erklären wollte: einer mag kein Sport, ein anderer keine Musik, und dann gibt es natürlich diejenigen, die kein Schwedisch mögen.

Wenn nun Pflichtschwedisch deswegen abgeschafft werden sollte, weil es angenehmer wäre und weil so viele es nicht mögen, sollte man im Namen der Gerechtigkeit auch andere Fächer, die jemand nicht mag, für freiwillig erklären. Und eines ist wirklich ganz unumstritten: jedes Fach hat ihre Hasser. Und was Schwedisch beziehungsweise Fächer wie Kunst, Sport und Musik betrifft, gibt es keine Sachargumente, mit denen man die Abschaffung der schwedischen Sprache verteidigen könnte, wenn man gleichzeitig auch Musik und Kunst und Sport hätte abschaffen können, aber jene drei Fächer trotzdem als Pflichtfächer geblieben lassen hat.
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