Gefunden auf der Spiegel-Seite
FRISCHER FISCH
Von Horst Köder
Wo in Europa geht man eigentlich am besten angeln? Darüber gehen die Meinungen auseinander wie bei der Frage nach dem besten Köder für dicke Barsche. In Spanien, werden jetzt einige sagen, da ist es schön warm und in den Flüssen schwimmen riesige Welse. In Irland, berichten andere, dort ist es unfassbar grün, man kann nebenbei noch golfen und die Hechte haben immer Beißzeit. Nee, lieber nach Norwegen, fordern die nächsten, in den Fjorden tummeln sich die Dorsche und Köhler und in den Hütten ist es so wunderbar lauschig. Und bei den Politik-Fetischisten ist ja Russland nach den barbäuchigen Auftritten Putins schwer angesagt.
Ich sage: Auf nach Finnland! Dabei war ich dort noch nie und kenne auch nur die üblichen Klischees: Kalt soll es dort sein, im Winter nahezu immer dunkel, der Alkohol ist schweineteuer und die Selbstmordrate wird nur noch von der Handydichte übertroffen. Wieso haben die Finnen eigentlich geschätzte 4,8 Handys pro Einwohner, wenn sie doch sowieso nie reden, wenn man den Filmen des Regisseurs Aki Kaurismäki glauben darf, sondern lieber stumm in Saunas sitzen oder Speere durch die Gegend werfen?
Stumm rumsitzen und auch sonst kaum reden - wahrscheinlich sind fast alle Finnen Angler. Man muss sich nur mal die Beschaffenheit dieses Landes anschauen: Es gibt mehr Seen als Hundehaufen in Berlin-Friedrichshain, man kann kaum einen Schritt machen, ohne gleich irgendwo im Wasser zu landen. "Das Land der tausend Seen" wird Finnland auch genannt, und damit nicht alles so karg rüberkommt, hat die Natur gleich noch ein paar Millionen Bäume dazugesetzt. Selbst die gewaltige Papierindustrie des Landes konnte dem Bestand bislang kaum zusetzen.
Holz, Wasser und Industrie, das bringt uns zu einer einmaligen Erfolgsgeschichte dieses Landes. Es war irgendwann in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, da dachte sich ein Mann namens Lauri Rapala (Finne und Angler): Mensch, große Fische fressen kleine Fische, warum nehme ich als Köder nicht einfach eine Imitation eines kleinen Fisches? Dachte, sprach und schnitzte - den ersten Rapala-Wobbler, ein kleines, mit Haken gespicktes Holzfischchen. Später wollten auch andere mal damit fischen, und heutzutage nutzen Millionen Angler auf der ganzen Welt dieses Lockmittel - angeblich sind die Dinger immer noch handgeschnitzt. Dem sündhaft hohen Preis nach mit goldenen Messern.
So sitzen viele Angler mit Rapala-Wobblern an irgendwelchen Gewässern, telefonieren mit Nokia-Handys und tragen ihre Fänge in ein Notizbuch ein, das aus finnischem Papier hergestellt wurde. Später dröhnt im Autoradio wahrscheinlich noch das "Hard Rock Hallelujah" der Gruppe "Lordi" aus den Lautsprechern und zu Hause wird erstmal der Fernseher angemacht. Skispringen, Vierschanzentournee. Janne Ahonen gewinnt. Oder Formel 1, mit Kimi Räikkönen. Oder man geht ins Kino. Der neueste Film von Kaurismäki. Was uns wieder zu der Erkenntnis bringt: Eigentlich sind wir doch alle Finnen, überall.
Aber wissen Sie, was ich das Tollste an den Finnen finde? Sie trotzen nicht nur der Kälte, sondern sie machen auch noch das Beste daraus und erfinden mal nebenbei das Eisfischen. In den zahlreichen Wintermonaten ist das dort durchaus Volkssport. Stuhl, riesiger Bohrer, kurze Angel, mehr braucht man nicht für diesen Spaß. Und trotz Klimawandels frieren die meisten Seen auch noch komplett zu mit einer Eisschicht, so dick, dass Panzer drüberfahren könnten. Ein toller Spaß für die ganze Familie: Mutti fährt mit der Tochter Schlittschuh, der Sohn prügelt sich beim Eishockey und Papa angelt am Loch. Muss man da noch viel reden?
Eben, und das wissen die Finnen so gut wie kein anderes Volk. So viele Finnen gibt es ja gar nicht, gerade einmal knapp über fünf Millionen. Grob gerechnet ein Einwohner pro See. Dabei hat das Land eine Fläche, die nur ein wenig kleiner ist als die Deutschlands. Gerade deshalb ist Finnland das ideale Land für alle Angler. Wenn man überhaupt mal einen Finnen trifft, dann quatscht der einen nicht gleich voll und fragt: "Hat schon was gebissen?" Wenn er überhaupt was wissen will, lässt er drei Telefonnummern da, damit man ihn später zurückrufen kann.
http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,505098,00.html
Hinter einem denglisch-babylonischen Sprachgewirr kann man sich wunderbar verstecken, Wissenslücken vertuschen und Kompetenz vorgaukeln.