Heute mal wieder ein ausführlicher
Artikel im Spiegel zu Problemen beim Bau von Olkiluoto etc.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,654629,00.html
Die meiner Meinung nach interessantesten Aussagen:
Auftraggeber und Herstellerfirmen sind heillos zerstritten, sie kämpfen vor einem Schiedsgericht um Milliarden. Die Kosten explodieren, die Fertigstellung verzögert sich um Jahre. Vor allem aber werfen Kritiker dem Konsortium vor, gefährlich zu pfuschen. Beton sei porös, Stahl sei rissig, und manche Konstruktionsprinzipien seien so gewagt, dass es die Experten von der finnischen Atomaufsicht schaudern lasse.
Doch in Wahrheit sind die Pannen beim Vorzeigeneubau eine schlechte Nachricht für die Atomwirtschaft; denn eigentlich hofft die Energiebranche auf ein Comeback ihrer Großtechnik. Und Olkiluoto sollte ihr Schaufenster werden - daraus wird wohl nichts.
Modernisierung statt Neubau - ist das die neue Strategie, die auf eine Renaissance durch die Hintertür hinausläuft? Zumindest zeigt das Chaos um den Olkiluoto-Reaktor, dass die Branche gar nicht ohne weiteres in der Lage ist, in der westlichen Welt günstig und sicher genug neue Kraftwerke zu bauen. Und Energieversorger können solche Mammutprojekte mit ihren gewaltigen Finanzrisiken nicht mehr stemmen - das geht nur, wenn der Staat einspringt.
Ursprünglich hätte das Kraftwerk schon in diesem Frühjahr ans Netz gehen sollen. Doch nun soll es erst 2012 so weit sein - vielleicht. Ob es klappt, "hängt vom Verhalten meiner Kunden ab", sagt Areva-Manager Mouroux spitz. Damit meint er TVO.
Außerdem wird der Bau mindestens 2,3 Milliarden Euro teurer als geplant. Die Rückstellungen für den erwarteten Verlust fressen fast den gesamten Konzerngewinn von Areva auf. Auch Siemens musste bereits dreistellige Millionenbeträge zurücklegen.
Mehr als 3000 Fehler gab es bislang beim Bau. Die wichtigste ungeklärte Frage betrifft "die Sinne, die Nerven und das Gehirn des Reaktors", sagt Petteri Tiippana, Direktor bei der finnischen Atomaufsichtsbehörde Stuk: das automatische Leitsystem des Atomkraftwerks.
Von den Hunderten Subunternehmern haben nur die wenigsten Erfahrungen in der Reaktortechnik. Viele arbeiten, als würden sie mal eben schnell eine Doppelgarage irgendwo hinstellen. Einmal entschieden die Arbeiter einer Firma kurzerhand, ein Rohr für einen Messfühler woanders anzubringen als vorgesehen. Der Platz war ihnen zu schwer zugänglich. Doch das Gerät musste genau dort messen, wo die Konstrukteure es vorsahen. Atominspektor Tiippana: "Die Leute müssen wissen, warum sie sich genau an die Vorgaben halten müssen, auch wenn nicht jeder Arbeiter Nuklearwissenschaftler werden soll."
"Das ist kein Vorzeigeprojekt, das ist ein Vorzeigedesaster", behauptet Mycle Schneider, deutscher Atomexperte aus Paris und Träger des Alternativen Nobelpreises.
Dabei hätten die Voraussetzungen kaum besser sein können. In Finnland stört kein Widerstand von Atomkraftgegnern die Bauarbeiten: Der Ort Eurajoki hat 6000 Einwohner und drei Atomreaktoren - Olkiluoto eins, zwei und drei. Bürgermeister Harri Hiitiö findet das großartig.
Aber nicht nur der französische Staatskonzern tut sich schwer, neue AKW zu errichten. Im vergangenen Jahr ging erstmals seit Beginn des nuklearen Zeitalters weltweit kein neuer Reaktor ans Netz. Wie sich aus dem "Welt-Statusreport Atomindustrie" ergibt, sind zwar 52 Meiler "im Bau" - 13 davon allerdings schon seit mehr als 20 Jahren. Und bei 24 ist noch nicht einmal theoretisch klar, wann sie hochgefahren werden könnten.
Zudem sollen 36 der neuen Reaktoren nicht im sicherheitsbewussteren Westen gebaut werden, sondern in China, Indien, Russland und Südkorea. "Mir wird schwarz vor Augen, wenn ich daran denke, dass in China 16 Kraftwerke gleichzeitig gebaut werden, und man hört nur, da gebe es keine Probleme", sagt Atomkritiker Schneider.
In der westlichen Welt wird außer in Finnland nur noch ein Atommeiler neugebaut: in Flamanville in der Normandie - aber da plagen sich die Franzosen mit ähnlichen Problemen herum wie in Finnland.
In den USA hat die frühere Bush-Regierung die Hürden für die Errichtung von Neubauten drastisch gesenkt. 2007 stellte sie zudem über 20 Milliarden Dollar für Kreditbürgschaften bereit. Doch die Industrie winkt ab. Sie hat seit mehr als 30 Jahren keinen einzigen Neubau begonnen.
"Eine Reihe amerikanischer Firmen haben sich die Situation in Finnland und die Größe der Investition dort erschüttert angesehen", sagt der US-Ökonom Paul Joskow vom Massachusetts Institute of Technology.
"Es gibt null Erfahrungen mit Leistungsreaktoren, die länger laufen als 40 Jahre", sagt Atomexperte Schneider. Doch RWE-Chef Jürgen Großmann meint, die deutschen Meiler würden auch 60 Jahre durchhalten. In den USA, Schweden und Frankreich gibt es ähnliche Ideen - aber auch starke Vorbehalte.
Doch kann man der Atombranche irgendeine Modernisierung zutrauen, wenn ihr beim Neubau solche Fehler unterlaufen wie in Finnland? Seit über einem Jahrzehnt ist in der westlichen Welt kein AKW mehr errichtet worden. Die Atomaufseher sehen im mangelnden Know-how eine Ursache für die Pannenserie: "Einigen Vorarbeitern fehlt Erfahrung", sagt Ingenieur Tiippana, "viele Firmen sind neu im Nuklearsektor, ihre Leute müssen trainiert werden, sich an die Standards zu halten."
Areva-Mann Mouroux glaubt trotz allem fest an eine Renaissance der Reaktoren. Der Ingenieur sitzt im Konferenzraum eines Baucontainers, er trägt einen gutgeschnittenen Anzug und hält nicht viel von Zweifeln: "Wir werden den Reaktor überall auf der Welt bauen", sagt Mouroux. Was mache es schon, wenn die Maschine teurer werde und der Bau etwas länger brauche: "Dafür soll der EPR 60 Jahre laufen."
