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Teil 1/2
ATOM-KAMPF IN FINNLAND
Revolte gegen die Uran-Jäger
Von Renate Nimtz-Köster
Volksaufstand in Finnland: Bürger begehren gegen internationale Atom-Spekulanten auf, die den strahlenden Rohstoff Uran schürfen wollen. Ein umkämpftes Gesetz zwingt die Bauern, ihren Grund dafür freizugeben.
"Fischreiche Wässer! Schönbaumige Wälder! Birken- und Beerenduft!" So besang der Flüchtling aus Deutschland sein nordisches Gastland, in dem er 1940 Zuflucht gefunden hatte. "Es ist verständlich", notierte Bertolt Brecht, "dass die Leute hierzulande ihre Landschaft lieben."
Die Leute selbst blieben Brecht rätselhaft: Denn der Asylant, so endet das Gedicht, "sieht ein Volk, das in zwei Sprachen schweigt" - auf Finnisch wie auch auf Schwedisch, in der Sprache der alteingesessenen Minderheit.
Dass die Finnen das Herz nicht auf der Zunge tragen, schon gar nicht zu lautstarkem Protest neigen, räumen sie gern ein. So geht, trotz vieler Pannen, der Bau ihres fünften Atommeilers lautlos über die Bühne. Und auch das neue Endlager frisst sich ungestört in den Gneis.
"Doch jetzt", sagt Landwirt Markku Kavenius, 43, "ist Schluss mit der Ruhe: Hier wird was passieren." Wie Kavenius und seine Frau Hanna, die in der Provinz Uusimaa 50 Milchkühe halten, kämpfen Bürger im ganzen Land gegen internationale Uranerzsucher: Die Anti-Uran-Volksbewegung Uraaniton versucht, französische, australische und kanadische Prospektoren zu stoppen, die gemeinsam mit einheimischen Schürfgesellschaften in Uusimaa, südwestlich von Helsinki, aber auch in Nordkarelien und in Lappland ihre Claims abstecken möchten: Weil die Weltmarktpreise für das radioaktive Mineral sich vervielfacht haben, sind die nordischen Vorkommen trotz geringen Urangehalts für Spekulanten interessant geworden.
Finnische Wissenschaftler wie der Geologe Matti Saarnisto warnen vor der Verseuchung von Böden und Gewässern, die noch im jüngsten Unesco-Wasserbericht als sauberste der Welt gelobt wurden. "Uranminen, wo auch immer", sagt Saarnisto, "belasten die Umwelt für Jahrtausende."
Doch die Regierung in Helsinki, die bereits den sechsten Meiler plant, macht es den Uransuchern allzu leicht. "Wenn man nun einmal die Atomkraft ausbauen und verwenden will", rechtfertigt Handelsminister Mauri Pekkarinen, müsse man den Brennstoff für die eigenen Meiler auch im eigenen Land gewinnen.
Ein altes Bergbaugesetz erlaubt Probebohrungen bis zu 50 Meter an Wohnhäuser heran, ferner den Bau von Straßen und Stromleitungen. Pro Hektar gibt es zehn Euro Entschädigung jährlich. Für Saarnisto steht das Gesetz, in "klarem Konflikt mit der finnischen Verfassung und dem Eigentumsrecht". Die Uransuche, sagt Ulla Klötzer, bekannteste Atomkritikerin des Landes, werde mit Methoden wie im Wilden Westen betrieben.
Auf das idyllische Bauernland von Uusimaa, wo viele Höfe seit Generationen bewirtschaftet werden und Bürger aus Helsinki hinzugezogen sind, spekuliert die französische Firma Areva, die an der westfinnischen Küste gerade Olkiluoto 3 baut, den fünften finnischen Reaktor.
Der weltgrößte Reaktorhersteller, der mit Siemens kooperiert, hat mit dem neuartigen Druckwasserreaktor Dauerprobleme: Das mit 1600 Megawatt leistungsstärkste AKW der Welt wird statt 2009 voraussichtlich erst 2011 fertig sein. Die milliardenteure Verspätung ist eine Folge zahlreicher Sicherheits- und Qualitätsmängel: "Olkiluoto 3 wächst sich zu einem Alptraum aus", resümierte Anfang Februar das industriefreundliche Magazin "Tekniikka & Talous" ("Technik und Wirtschaft").
Durch strahlende Hinterlassenschaften hat sich Areva schon andernorts einen schlechten Ruf erworben: Ausgebeutete Areva-Urangruben vergiften Landstriche im afrikanischen Gabun und in Niger. Prozesse wegen Folgeschäden im französischen Limousin, wo Areva 24 Millionen Tonnen strahlenden Gesteinsabfall hinterließ, hat der Konzern bislang erfolgreich abgeschmettert.
Hinter einem denglisch-babylonischen Sprachgewirr kann man sich wunderbar verstecken, Wissenslücken vertuschen und Kompetenz vorgaukeln.