Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
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#1 Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Anlässlich eines Vorschlages von Sunny eröffne ich ein neues Thema, das sich mit den Bronzdenkmal bezogenen Krawallen in Tallinn befasst. Es geht nicht um ein direkt Finnland bezogenes Thema, aber im Klönschnack-Bereich dürfte die Frage sicherlich trotzdem diskutiert werden können. Es geht auch um ein Ereignis, das sich in dem für Finnland kulturell und sprachlich nahestehenden Nachbarland Estland vollziehen. Die Frage hatte in meinem ursprünglichen Beitrag im "Gedanken, Gedanken, Gedanken" auch einen Deutschland Bezug, weil mir eine gewisse Aussage von Gerhard Schröder einigermassen überraschend - ja sogar ausgesprochen stalinistisch-orientiert und daher für einen vorherigen Staatschef einer westlichen Demokratie recht absurd - vorkam.
Er bezeichnete den Umzug vom stalinistischen Bronzdenkmal "Pronkssõduri" in der estnischen Hauptstadt Tallinn als Beleidigung gegen jenen sowjetischen Soldaten, die im Kampf gegen den Faschismus gefallen seien. Er meinte, dass die Art und Weise, auf der Estland das Andenken dieser jungen russischen Soldaten behandelt, als Zeugen für schlechten Geschmack und Disrespekt angeführt werden könne. Den finnischen Artikel gibt es unter diesem Link zu lesen: http://www.hs.fi/ulkomaat/artikkeli/Vir ... 5226874894
Der angesprochen Stück folgt hier in finnischer Sprache:
"Saksan entinen liittokansleri Gerhard Schröder luonnehti Pronssisotilaan siirtämistä pois paikaltaan loukkaukseksi niitä venäläissotilaita kohtaan, jotka kaatuivat taistellessaan fasismia vastaan. Schröderin mielestä "Viron tapa käsitellä nuorten venäläissotilaiden muistoa osoittaa huonoa makua ja epäkunnioitusta". Schröder kertoi näkemyksestään tavatessaan ay-väkeä Riedenbergissä Etelä-Saksassa."
Meine Meinung zum Thema ist, wie ich auch im usprünglichen Beitrag angeführt habe, dass der grösste Unterschied zwischen Hitlers Deutschland und Stalins Sowjetunion gewesen sein dürfte, dass Deutschland den Krieg verlor und damit gezwungen gewesen war (beziehungsweise gezwungen ist), seine faschistische Vergangenheit zuzugeben und damit zu leben. Im heutigen Russland ist dies nicht der Fall, sondern man interpretiert die Geschichte zur eigenen Gunst: man sieht es so, als hätte die Sowjetunion einst Estland von einer nationalsozialistisch-faschistischen Besatzung befreit. Für die Esten war es aber echt eine Schnuppe, ob sie ab dem zweiten Weltkrieg bis den 90ern unter nationalsozialistisch-faschistischen Herrschaft oder aber stalinistisch-faschistischen Herrschaft (über)leben (versuchen) mussten. Sie wurden unter der sowjetischen Herrschaft unterdrückt, genau wie sie unter der nationalsozialistischen Herrschaft unterdrückt wurden. Die Aussage von Schröder, dass sowjetische Soldaten gegen Faschismus gekämpft haben, entspricht nur die eine Hälfte der Wahrheit, denn sie haben nicht nur gegen nationalsozialistischen Faschismus gekämpft, sondern sie haben gleichzeitig für stalinistischen Faschismus gekämpft.
Meine Frage lautete daher: warum interpretiert Schröder die Geschichte zur Gunst der damals faschistischen Russen und nicht zur Gunst der kleinen Nationen, die zu unfreiwilligen Opfern eines Weltkrieges fielen?
Hier können alle, die Interesse an diesem Thema haben, ihre Meinungen schreiben. Hat die estnische Regierung richtig gehandelt, wenn sie ein stalinistisches Denkmal aus der Stadtmitte von Tallinn umgezogen hat, weil das Denkmal von Esten als Symbol der sowjetischen Ockupation empfunden worden ist? Macht die Aussage von Schröder Sinn?
Er bezeichnete den Umzug vom stalinistischen Bronzdenkmal "Pronkssõduri" in der estnischen Hauptstadt Tallinn als Beleidigung gegen jenen sowjetischen Soldaten, die im Kampf gegen den Faschismus gefallen seien. Er meinte, dass die Art und Weise, auf der Estland das Andenken dieser jungen russischen Soldaten behandelt, als Zeugen für schlechten Geschmack und Disrespekt angeführt werden könne. Den finnischen Artikel gibt es unter diesem Link zu lesen: http://www.hs.fi/ulkomaat/artikkeli/Vir ... 5226874894
Der angesprochen Stück folgt hier in finnischer Sprache:
"Saksan entinen liittokansleri Gerhard Schröder luonnehti Pronssisotilaan siirtämistä pois paikaltaan loukkaukseksi niitä venäläissotilaita kohtaan, jotka kaatuivat taistellessaan fasismia vastaan. Schröderin mielestä "Viron tapa käsitellä nuorten venäläissotilaiden muistoa osoittaa huonoa makua ja epäkunnioitusta". Schröder kertoi näkemyksestään tavatessaan ay-väkeä Riedenbergissä Etelä-Saksassa."
Meine Meinung zum Thema ist, wie ich auch im usprünglichen Beitrag angeführt habe, dass der grösste Unterschied zwischen Hitlers Deutschland und Stalins Sowjetunion gewesen sein dürfte, dass Deutschland den Krieg verlor und damit gezwungen gewesen war (beziehungsweise gezwungen ist), seine faschistische Vergangenheit zuzugeben und damit zu leben. Im heutigen Russland ist dies nicht der Fall, sondern man interpretiert die Geschichte zur eigenen Gunst: man sieht es so, als hätte die Sowjetunion einst Estland von einer nationalsozialistisch-faschistischen Besatzung befreit. Für die Esten war es aber echt eine Schnuppe, ob sie ab dem zweiten Weltkrieg bis den 90ern unter nationalsozialistisch-faschistischen Herrschaft oder aber stalinistisch-faschistischen Herrschaft (über)leben (versuchen) mussten. Sie wurden unter der sowjetischen Herrschaft unterdrückt, genau wie sie unter der nationalsozialistischen Herrschaft unterdrückt wurden. Die Aussage von Schröder, dass sowjetische Soldaten gegen Faschismus gekämpft haben, entspricht nur die eine Hälfte der Wahrheit, denn sie haben nicht nur gegen nationalsozialistischen Faschismus gekämpft, sondern sie haben gleichzeitig für stalinistischen Faschismus gekämpft.
Meine Frage lautete daher: warum interpretiert Schröder die Geschichte zur Gunst der damals faschistischen Russen und nicht zur Gunst der kleinen Nationen, die zu unfreiwilligen Opfern eines Weltkrieges fielen?
Hier können alle, die Interesse an diesem Thema haben, ihre Meinungen schreiben. Hat die estnische Regierung richtig gehandelt, wenn sie ein stalinistisches Denkmal aus der Stadtmitte von Tallinn umgezogen hat, weil das Denkmal von Esten als Symbol der sowjetischen Ockupation empfunden worden ist? Macht die Aussage von Schröder Sinn?
Zuletzt geändert von Risto am 29. Apr 2007 18:24, insgesamt 1-mal geändert.
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#2 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Schröder arbeitet ja seit einiger Zeit in einer gehobenen Position für den russischen Konzern Gasprom (heißt er so? Bin nicht ganz sicher). Da kann ich nur zwei deutsche Sprichwörter zitieren: 1. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. 2. Man beisst nicht die Hand, die einen füttert. Schröder ist ja durch seinen Job gezwungen pro-russisch aufzutreten, sonst ist er womöglich seinen hochdotierten Job los.
Was die russische Minderheit sich da in Tallinn erlaubt, finde ich unerhört. Das ist Estland, nicht Russland! Estland ist ein souveräner Staat, da hat eine Minderheit, die dort lebt (leben darf), nicht aufzumucken. Die sollen froh sein, dass sie, nachdem, was die Sowjetunion diesem kleinen Land und seiner Bevölkerung alles angetan hat, nicht aus dem Land geworfen wurden. Wär ich estnischer Staatspräsident, hätte ich die Russen des Landes verwiesen.
Außerdem wird das russische Denkmal ja nicht zerstört, sondern lediglich verschoben. Da können die Russen ja noch froh sein.
Was die russische Minderheit sich da in Tallinn erlaubt, finde ich unerhört. Das ist Estland, nicht Russland! Estland ist ein souveräner Staat, da hat eine Minderheit, die dort lebt (leben darf), nicht aufzumucken. Die sollen froh sein, dass sie, nachdem, was die Sowjetunion diesem kleinen Land und seiner Bevölkerung alles angetan hat, nicht aus dem Land geworfen wurden. Wär ich estnischer Staatspräsident, hätte ich die Russen des Landes verwiesen.
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#3 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Genau, jetzt erinnere ich mich auch and Schröders Nebenjob.
Aber wieso blieb die komische Statue eigentlich bis heute da? 80 Verstehe ich immer noch nicht...
Aber wieso blieb die komische Statue eigentlich bis heute da? 80 Verstehe ich immer noch nicht...
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
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#4 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Sie wird ja nu auf´n "Friedhof" verschoben! :rolleyes:
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#5 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Es wurden eben Bilder aus den Demonstranten in Moskau in den finnischen TV-Nachrichten
gezeigt. Sie trugen irgendeine Flagge mit rotem Kreuz auf dem weissen Boden,am Rande war es deutich das alte SS-Symbol zu erkennen. Ich frage mich,wer hier die Faschisten sind und wer nicht. Zum Glück scheinen die Kravallen jetz vorbei zu sein.
Das Denkmal wird übrigens am 8.Mai wieder auf dem Soldatenfriedhof von Tallinn enthüllt.
gezeigt. Sie trugen irgendeine Flagge mit rotem Kreuz auf dem weissen Boden,am Rande war es deutich das alte SS-Symbol zu erkennen. Ich frage mich,wer hier die Faschisten sind und wer nicht. Zum Glück scheinen die Kravallen jetz vorbei zu sein.
Das Denkmal wird übrigens am 8.Mai wieder auf dem Soldatenfriedhof von Tallinn enthüllt.
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#6 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Wahrscheinlich, weil er - und nicht nur er - den Eindruck hat, dass es der Regierung der Republik Estland nicht darum geht, ein stalinistisches Schandmal aus Estland zu tilgen, sondern aus nationalistischen Erwägungen die nicht-estnische (kyrillisch schreibende) Minderheit (jedenfalls im Stadtzentrum von Tallinn) unsichtbar zu machen.Risto schrieb am 29.04.2007 12:46
Meine Frage lautet daher: warum interpretiert Schröder die Geschichte zum Gunst der damals faschistischen Russen und nicht zum Gunst der kleinen Nationen, die zu unfreiwilligen Opfern eines Weltkrieges fielen?
Es mag menschlich verständlich sein, wenn ein "Staatsvolk" nach vielen Jahren der Unterdrückung endlich wieder "Herr im eigenen Hause" sein möchte und so ein Denkmal, das es als Verherrlichung der eigenen Unterdrückung ansieht, jedenfalls nicht im Stadtzentrum seiner Hauptstadt sehen möchte.
Ganz abgesehen davon, dass nicht erklärlich ist, wieso ein doch so furchtbares Denkmal dann auf einem öffentlich zugänglichen Friedhof erträglich wird, ist dieses Verhalten der Regierung Estlands meiner Meinung nach nicht mit europäischen Grundsätzen des Minderheitenschutzes und der Meinungsfreiheit vereinbar. In Estland leben eben auch Menschen, für die dieses Denkmal an eine Befreiung erinnert, vielleicht keine estnischen Muttersprachler, aber Menschen, die jedenfalls zum Teil auch estnische Staatsbürger sind, für die das Land auch Heimat ist, selbst wenn sie sie nicht "Eesti", sondern "Jestonia" nennen.
Angesichts dessen hätte es einem sich den europäischen Grundrechten verpflichtet fühlenden Gemeinwesen wie der Republik Estland im 16. Jahr der Unabhängigkeit als UN-, Nato- und EU-Mitglied besser angestanden, ein solches Denkmal wenn schon nicht zu akzeptieren, so doch wenigstens zu ertragen, statt es mit juristischen Kniffen in eigens geschaffenen gesetzlichen Regelungen über das Bestattungswesen zu beseitigen.
P.S.: http://www.handelsblatt.com/news/Journa ... ierer.html
Das Handelsblatt dürfte in diesem Zusammenhang eine unverdächtige Quelle sein, oder?
P.P.S.: Interessant auch das hier, nicht so sehr hinsichtlich der Bewertung, wohl aber der Fakten: http://www.cafebabel.com/de/article.asp?T=T&Id=10787
Zuletzt geändert von ulli am 29. Apr 2007 21:14, insgesamt 1-mal geändert.
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#7 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Was Schröders Aussage angeht, ist seine berufliche Position natürlich eine plausible Erklärung. Daran hatte ich nicht gedacht, aber das alles macht schon irgendwie Sinn. Sollte er aber ehrlich und aufrichtig jemanden für schlechten Geschmack beschuldigen wollen, dann meine ich im Ernst, er wäre in diesem Fall selber der optimale Adressat gewesen, nicht die estnische Regierung. Die von Ulli angeführten Aspekten finde ich objektiv gesehen einigermassen nachvollziehbar, aber die Wortwahl von Schröder (als ob die Sowjetunion kein faschistisches Land gewesen wäre) fand ich so einschmeichlerisch Moskau gegenüber, dass sich meine Nackenhaare richtig gesträubt haben.
Dass der Bronzkrieger für vielen Estlandsrussen wichtig ist, liegt nach meiner Auffassung nicht daran, dass ihn jemand wirklich als Symbol für eine Befreiung empfinden würde. Ich sehe es eher so, dass diese angenommene "Befreiung" nur den Kern jener Lüge darstellt, die Estlandsrussen selber als Argument für ihr Dasein in Estland anführen. Die meisten Estlandsrussen sind dies wohl im Herzen auch selber bewusst. Sonst wäre ihnen ein einziges Denkmal nicht so wichtig.
Ich glaube, dass Estlandsrussen in ihrem Unterbewusstsein schon immer gewusst haben, dass sie nie irgendwelche Helden waren, sondern Verbrechern, die ein unschuldiges Land plünderten, ein grosser Teil der indigenen Bevölkerung in sibirischen Arbeitslagern lieferten, für Staatsfeinde erklärten und eigenmächtige Hinrichtungen durchführten. Ich glaube auch, dass sie sich im Herzen immer bewusst gewesen sind, dass die luxurösen estnischen Datschas, die wohlhabende Stalinisten einst vom sowjetischen Staat kauften, in Wirklichkeit zu estnischen Privatpersonen, die entweder nach Sibirien geliefert oder gleich hingerichtet worden waren, gehörten. Solche schreckliche Tatsachen konnten die Estlandsrussen aber verdrängen, solange sie Herren im Haus waren. Was die aktuellen Krawallen in Tallinn angehen, tendiere ich ihnen für eine Erscheinungsform der Angst der Estlandsrussen zu halten - für eine Erscheinungsform der Angst, die eigene - und zwar wahre - Geschichte konfrontieren zu müssen. Das Bronzdenkmal auf Tõnismäe in Tallinn ist halt das letzte Überbleibsel der "Beweisen" des Heldentums der Estlandsrussen gewesen, der letzte "Hilfsmittel" der kollektiven Verdrängung einer bestialischen Geschichte, ohne die es nur jene Estlandsrussen gäbe, die in Estland vor dem Weltkrieg ansässig waren.
Ulli schrieb:
Ganz abgesehen davon, dass nicht erklärlich ist, wieso ein doch so furchtbares Denkmal dann auf einem öffentlich zugänglichen Friedhof erträglich wird, ist dieses Verhalten der Regierung Estlands meiner Meinung nach nicht mit europäischen Grundsätzen des Minderheitenschutzes und der Meinungsfreiheit vereinbar. In Estland leben eben auch Menschen, für die dieses Denkmal an eine Befreiung erinnert, vielleicht keine estnischen Muttersprachler, aber Menschen, die jedenfalls zum Teil auch estnische Staatsbürger sind, für die das Land auch Heimat ist, selbst wenn sie sie nicht "Eesti", sondern "Jestonia" nennen.
Dass der Bronzkrieger für vielen Estlandsrussen wichtig ist, liegt nach meiner Auffassung nicht daran, dass ihn jemand wirklich als Symbol für eine Befreiung empfinden würde. Ich sehe es eher so, dass diese angenommene "Befreiung" nur den Kern jener Lüge darstellt, die Estlandsrussen selber als Argument für ihr Dasein in Estland anführen. Die meisten Estlandsrussen sind dies wohl im Herzen auch selber bewusst. Sonst wäre ihnen ein einziges Denkmal nicht so wichtig.
Ich glaube, dass Estlandsrussen in ihrem Unterbewusstsein schon immer gewusst haben, dass sie nie irgendwelche Helden waren, sondern Verbrechern, die ein unschuldiges Land plünderten, ein grosser Teil der indigenen Bevölkerung in sibirischen Arbeitslagern lieferten, für Staatsfeinde erklärten und eigenmächtige Hinrichtungen durchführten. Ich glaube auch, dass sie sich im Herzen immer bewusst gewesen sind, dass die luxurösen estnischen Datschas, die wohlhabende Stalinisten einst vom sowjetischen Staat kauften, in Wirklichkeit zu estnischen Privatpersonen, die entweder nach Sibirien geliefert oder gleich hingerichtet worden waren, gehörten. Solche schreckliche Tatsachen konnten die Estlandsrussen aber verdrängen, solange sie Herren im Haus waren. Was die aktuellen Krawallen in Tallinn angehen, tendiere ich ihnen für eine Erscheinungsform der Angst der Estlandsrussen zu halten - für eine Erscheinungsform der Angst, die eigene - und zwar wahre - Geschichte konfrontieren zu müssen. Das Bronzdenkmal auf Tõnismäe in Tallinn ist halt das letzte Überbleibsel der "Beweisen" des Heldentums der Estlandsrussen gewesen, der letzte "Hilfsmittel" der kollektiven Verdrängung einer bestialischen Geschichte, ohne die es nur jene Estlandsrussen gäbe, die in Estland vor dem Weltkrieg ansässig waren.
Zuletzt geändert von Risto am 30. Apr 2007 00:34, insgesamt 1-mal geändert.
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#8 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Das ist sicher so, dass Angst dahinter steckt.
Schröder ist übrigens eng mit Putin befreundet, dem er den Gasprom-Job ja auch verdankt.
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#9 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Zur Eskalation gehören immer zwei:Risto schrieb am 29.04.2007 23:21
Sonst wäre ihnen ein einziges Denkmal nicht so wichtig.
Wie kommt es, dass erst durch ein Gesetz im Februar 2007 den lokalen Behörden die Zuständigkeit für derartige Denkmale entzogen und der Staatsregierung übertragen wurde? Wie kommt es, dass im Wahlkampf für die Parlamentswahl im März 2007 dieses Denkmal thematisiert wurde (es gab seinerzeit sogar einen Bericht darüber im bundesdeutschen Fernsehen)? Wieso ist dieses Denkmal der erste Anwendungsfall des neuen Gesetzes? Alles Zufälle? Honi soit qui mal y pense ...
Die Menschen sind doch aber noch da, und man kann ihnen doch ihre Geschichte nicht nehmen (was natürlich auch bedeutet, dass sie sich dieser nicht entziehen sollen). Für die, die bzw. deren Vorfahren in den 50er und 60er Jahren nach Estland kamen, ist der 8. Mai vielleicht wirklich der Tag der Befreiung. Und diese Menschen stellen etwa ein Drittel der Bevölkerung.Risto schrieb am 29.04.2007 23:21
Das Bronzdenkmal auf Tõnismäe in Tallinn ist halt das letzte Überbleibsel der "Beweisen" der Heldenhaft der Estlandsrussen gewesen, der letzte "Hilfsmittel" der kollektiven Verdrängung einer bestialischen Geschichte, ohne die es nur jene Estlandsrussen gäbe, die in Estland vor dem Weltkrieg ansässig waren.
Oder wollen die Esten, dass diese Menschen nach Rußland zurückkehren? Dass alle dorthin zurück gehen, woher sie kamen und denen das Land überlassen, das sie anderen wegnahmen? Das zu Ende gedacht, müßten Esten und Finnen zurück zum Ural, denn weder die Gegend, die heute Estland heißt, noch jene, die als Finnland bezeichnet wird, waren menschenleer, als die Vorfahren der Ostseefinnen dort ankamen.
Das kann es doch nun wirklich nicht sein!
Zuletzt geändert von ulli am 30. Apr 2007 00:57, insgesamt 1-mal geändert.
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#10 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Ulli schrieb:
Oder wollen die Esten, dass diese Menschen nach Rußland zurückkehren? Dass alle dorthin zurück gehen, woher sie kamen und denen das Land überlassen, das sie anderen wegnahmen? Das zu Ende gedacht, müßten Esten und Finnen zurück zum Ural, denn weder die Gegend, die heute Estland heißt, noch jene, die als Finnland bezeichnet wird, waren menschenleer, als die Vorfahren der Ostseefinnen dort ankamen.
Möchte man die Frage zu einem philosophischen Ebene aufheben, muss ich dir Recht geben. Dann könnte ich aber fragen, warum ein Taschendieb, der mein Portemonnaei gestohlen hat, es mir zurückgeben sollte. Jemand hat das Geld besessen, bevor ich es erhalten habe. Wieso habe ich dann einen besseren Recht zu diesem Eigentum als ein Taschendieb?
Es sind Fragen, die aus philosophischer Sicht interessant sind, aber praktisch gesehen machen sie weniger Sinn, denn ohne Gesetze und Regeln wäre eine organisierte Gesellschaftsordnung zerbrochen. Das gleiche gilt für Regeln, die auf Beziehungen zwischen Länder und Völker angewendet werden. Als eine universelle Prinzip gilt es im Völkerrecht u.a., dass ein Staat, der ein Land besetzt, nie privater Eigentum beschlagnehmen darf. Eben dies hat aber die Sowjetunion gemacht, als sie von den Nazis ockupierten Staaten "befreit" hat. Das hat sie im übrigen auch gemacht, als sie Karelien aus Finnland "befreit" hat, und zwar so gewissenhaft, dass nicht weniger als 400 000 Finnen aus dem "befreiten" Finnland ins "unbefreit" gebliebenen Finnland etwa in Unterwäschen evakuiert werden mussten. Diese staatlich durchgeführte Beschlagnahme von privatem Eigentum stellt den gesetzlichen Grund dafür dar, dass die meisten Estlandsrussen vertrieben werden könnten.
Die Folgen sind heute nämlich, dass die völkerrechtlich gesehen berechtigten Besitzer u.a. fast des ganzen Ost-Estlands, d.h. der dortigen Landgüte und Immobilien, Esten sind, entweder diejenigen, die von dort während der "Befreiung" rausgetrieben wurden oder ihren leiblichen Nachkommen. Wer sind aber grösstenteils die de facto Inhabern des heutigen Ost-Estlands? Eben Estlandsrussen, die die dortigen Grundstücke, Landgüte und Immobilien übernahmen, nachdem die richtigen Besitzern in den Sibirien-Express-Zügen verstaut worden waren. Vielleicht empfinden die Estlandsrussen diese Heldentaten tatsächlich als eine "Befreiung" den Esten gegenüber, wer weiss. Schliesslich haben sie viele Esten von der schweren Last des Besitzerseins der ost-estnischen Familienlandgüten wortwörtlich befreit. Andere wurden noch freigebiger sogar von der schweren Last des Lebens befreit. Das sind aber keine Taten, auf die ich Wert lege. Das sind auch keine Taten, aufgrund von denen man im Ernst meinen können sollte, die Esten wären moralisch verpflichtet, die Erinnerung der russischen Freiheitshelden zu respektieren. Im Gegenteil. Das sind Taten, in derer Licht es mir einfach pervers vorkommt, wenn man den Esten vorwirft, sie seien intolerant, wenn sie es nicht erlauben wollen, dass Estlandsrussen den Bronzkrieger im Stadtkern von Tallinn verehren.
Betrachten wir mal die Situation insofern andersherum, dass es im Stadtkern von Tel Aviv ein Denkmal von einem nationalsozialistischen Sturmbannführer gäbe. Ich würde mal schätzen, dass die internationale Gemeinschaft mit ziemlich eindeutigem Konsensus Halt dazu geben würde, dass dieses Denkmal unmittelbar komplett zerstört wird, obwohl einige in Israel ansässigen Deutschen aus irgendwelchem perversen Veranlass Widerstand mit Leib und mit Seele leisten würden. Dieses Gedankenspiel schildert gut die Wichtigkeit der Distinktion zwischen Sieger- und Kapitulierermächte. Wäre Deutschland nämlich der Sieger des Krieges gewesen, würde man heute einerseits nicht darum debattieren, ob das Hakenkreuz Europaweit verboten werden sollte, sondern dann wäre eben der Hammer und Sichel Objekt dieses möglichen Verbotes. Wäre wiederum die Sowjetunion der kapitulierende Part gewesen, würde man andererseits sicherlich kein Auge zudrücken, wenn man die Verbrechen gegen Menschenrechte betrachtet, die sich während der sowjetischen "Befreiung" von Estland ereigneten. Das Problem ist eben, dass die Nachkriegsplädierung immer von den Siegermächten diktiert wird. Selbstverständlich wurden die Nazis daher für Faschisten erklärt und die Stalinisten von allen ihren Verbrechen sowohl retro- als auch futuroaktiv freigeschrieben, aber das heisst ja längst nicht, dass die Sowjetunion besser als das Dritte Reich gewesen wäre - sie war halt eine der Siegermächten, und zwar jene von denen, die viele kleine Länder nach dem Kriegsende ungestört noch während fast einem halben Jahrhundert unterdrücken und tyrannisieren sollte. Und zwar ohne die geringste Verantwortung dafür je tragen zu müssen.
Zuletzt geändert von Risto am 30. Apr 2007 04:52, insgesamt 1-mal geändert.
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#11 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Da ich aus einer Familie stamme, die nach dem 2. Weltkrieg enteignet und schließlich aus ihrer Heimat (Tschechien), in der sie 500 Jahre gelebt hat, vertrieben wurde, kann ich nur sagen, dass die Russen den Esten wirklich zu Dank verpflichtet sind. Vor 500 Jahren kamen die Deutschen auf Einladung und Bitten des böhmischen Königs nach Böhmen. Dann wurden sie in den Nazi-Wahnsinn mit hineingezogen und mussten bitter dafür büßen (ich erinnere nur an die Massakrierung von dt. Zivilisten, meist Frauen und Kindern auf der Brücke von Aussig). Die Russen aber wurden nicht nach Estland gebeten, sondern haben das Land gewaltsam besetzt und es jahrzehntelang ausgeplündert und unterdrückt. Die Russen, die sich in dieser Zeitspanne dort angesiedelt haben, besonders die der 50er und 60er Jahre, sind Besatzer und keineswegs eingeladene Gäste. Deswegen haben sie überhaupt kein Recht sich in Estland aufzuhalten. Vielmehr finde ich die Esten sehr großzügig, dass sie so friedlich diese Leute ertragen.ulli schrieb am 30.04.2007 00:53
Die Menschen sind doch aber noch da, und man kann ihnen doch ihre Geschichte nicht nehmen (was natürlich auch bedeutet, dass sie sich dieser nicht entziehen sollen). Für die, die bzw. deren Vorfahren in den 50er und 60er Jahren nach Estland kamen, ist der 8. Mai vielleicht wirklich der Tag der Befreiung. Und diese Menschen stellen etwa ein Drittel der Bevölkerung.
Oder wollen die Esten, dass diese Menschen nach Rußland zurückkehren? Dass alle dorthin zurück gehen, woher sie kamen und denen das Land überlassen, das sie anderen wegnahmen? Das zu Ende gedacht, müßten Esten und Finnen zurück zum Ural, denn weder die Gegend, die heute Estland heißt, noch jene, die als Finnland bezeichnet wird, waren menschenleer, als die Vorfahren der Ostseefinnen dort ankamen.
Das kann es doch nun wirklich nicht sein!
Und nebenbei bemerkt: Ein Denkmal für tote Kriegs"helden" passt doch prima auf einen Friedhof. :]
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#12 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Loja schrieb am 30.04.2007 06:57
Deswegen haben sie überhaupt kein Recht sich in Estland aufzuhalten. Vielmehr finde ich die Esten sehr großzügig, dass sie so friedlich diese Leute ertragen.
Risto schrieb am 30.04.2007 04:30
Diese staatlich durchgeführte Beschlagnahme von privatem Eigentum stellt den gesetzlichen Grund dafür dar, dass die meisten Estlandsrussen vertrieben werden könnten.
Diese Menschen russischer Herkunft sind Bürger der Republik Estland. Und ich dachte, es bestünde ein Konsens, dass Bürger eines Staates jedes Recht haben, in diesem Staat zu leben.Risto schrieb am 30.04.2007 04:30
Das sind Taten, in derer Licht es mir einfach pervers vorkommt, wenn man den Esten vorwirft, sie seien intolerant, wenn sie es nicht erlauben wollen, dass Estlandsrussen den Bronzkrieger im Stadtkern von Tallinn verehren.
Zuletzt geändert von ulli am 30. Apr 2007 08:27, insgesamt 1-mal geändert.
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#13 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Wenn sie die estnische Staatsbürgerschaft haben, wirft das schon ein ganz anderes Licht auf die Sache. Ich dachte, diese Leute hätten die russische Staatsangehörigkeit. Deswegen hat mich das so aufgeregt, dass "man sich im Gastland so sch*** benimmt. Warum wird dann nicht einfach abgestimmt, was mit dem Denkmal passieren soll? 80
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#14 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Du auch? 80 Ich wusste schon immer, dass uns viel verbindet . Dies war natürlich auch in den schlesischen Regionen der Fall. Auch wenn wir erst Anfang 80er weg waren, besitze ich sogar selbst einen "Vertriebenenausweis" - der steht uns lt. dt. Grundgesetz zu. Dennoch gab es in meiner Verwandschaft viele Fälle der echten Vertreibung, wo eben Hab und Gut verloren ging und man mit einem Koffer (wenn überhaupt), barfuss und mit Kind aufm Arm weglaufen musste. Diese Verwandschaft lebt teilw. bis heute in Hamburg. Den zweiteiler "Die Flucht" hab ich leider verpasst.Loja schrieb am 30.04.2007 07:57
Da ich aus einer Familie stamme, die nach dem 2. Weltkrieg enteignet und schließlich aus ihrer Heimat (Tschechien), in der sie 500 Jahre gelebt hat, vertrieben wurde, kann ich nur sagen, dass die Russen den Esten wirklich zu Dank verpflichtet sind.
Ich weiss nicht, ob das Aufenthaltsrecht vergleichbar wäre, aber zu den "roten" Zeiten, wenn man nicht sofort die Beine unter die Arme genommen hat, wurde man hinter dem eisernen Vorhang quasi festgehalten - man durfte gar nicht mehr nach Deutschland, z.B. nicht die Familie gemeinsam (immer musste jemand - Gatte, Kind) als Pfand in Polen bleiben. Bis in die späte 80er eben. Die ebenfalls zwanghaft umgesiedelte Bevölerung aus Russland und Ukraine sollte das Klischee schaffen, die Gegend wäre nie deutsch gewesen. Sie haben natürlich viel Gut bekommen, mochten aber nicht so recht in dieser Region leben.
Mich wundert es immer noch, dass in Estland diese Geschichte so lange anhält. Ein kommunistisches Denkmal eines Arbeiters hat bei uns jede Woche rote Grafittischnürsenkel auf seinen Bergarbeiterstiefel verpasst bekommen. Endgültig weg waren diese Dinge dann Anfang 90er - manchmal sehr unschön abgerissen. Da waren die Esten noch geduldig...
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
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#15 Re: Krawallen in Tallinn und Schröders Meinung
Ich muss mich noch verdeutlichen. Staatsbürger können natürlich gesetzlich gesehen nicht vertrieben werden. Ich habe ein falsches Wort verwendet. Ich meinte zu schreiben, dass die Beschlagnahme von privatem Eigentum, die der sowjetische Staat in Estland ausübte und derer direkten Konsequenz der Massenumzug der Russen ins Estland war, eine moralische Berechtigung für eine Vertreibung der Russen wäre, weil die angesprochene Beschlagnahme damals verboten war.
@Loja: Das Problem ist eben, dass die Estlandsrussen die Demokratie nicht respektieren. Sie sind halt eine Minderheit und in vielerlei Hinsicht vertreten sie ihre Pronkssõduri-Meinung einsam.
@Loja: Das Problem ist eben, dass die Estlandsrussen die Demokratie nicht respektieren. Sie sind halt eine Minderheit und in vielerlei Hinsicht vertreten sie ihre Pronkssõduri-Meinung einsam.
Zuletzt geändert von Risto am 30. Apr 2007 09:07, insgesamt 1-mal geändert.